DRUCKSPIEGEL-BLOG


von Stefan Breitenfeld

28.11.2022

VDMA, Circular Economy, Nachhaltigkeit

„Es bedarf nachvollziehbarer Regularien!“

Mit seinen Brüdern Martin und Philipp hält Erich Kollmar die familiengeführte Bellmer Group auf Wachstumskurs. Ihr Erfolg gründet auf durchdachter Anlagentechnik für die ressourceneffiziente Papier- und Zellstoffherstellung, für effektive Wasseraufbereitung sowie für Kreislaufprozesse. Im VDMA-Interview spricht er über Pläne, Lösungen und Herausforderungen auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft.

Nutzen Sie in Ihrer eigenen Produktion Kreislauf- und Müllvermeidungskonzepte?

Natürlich. Für uns als Unternehmen mit sehr hoher Fertigungstiefe gebieten es schon die Entsorgungskosten, jegliche Reststoffe sortenrein zu trennen und sofern möglich in Materialkreisläufe zurückzuführen. Ressourcenschutz und Kostenreduktion gehen bei dieser Thematik Hand in Hand. Seit etwa einem Jahrzehnt reduzieren wir zudem unsere Materialvielfalt, beispielsweise bei Edelstählen im Sinne schlankerer Prozesse. Das erleichtert natürlich auch das sortenreine Trennen.

Welche Lösungen für die Circular Economy bieten Sie Ihren Kunden an?

Unsere Anlagentechnik ermöglicht vielen Branchen Wasserkreisläufe. Der wichtigste Markt sind Komponenten und Gesamtlösungen für die Fest-Flüssig-Separation in der Produktion von Papier, Karton, Verpackungs-, Spezial- und Sicherheitspapieren oder Faserplatten. Hier geht es auch darum, die Prozesse für zunehmende Recyclat-Anteile zu optimieren. Daneben sind wir mit unseren Lösungen in rund 60 weiteren Branchen und Anwendungsfeldern erfolgreich. Sei es die Abwasseraufbereitung auf Kreuzfahrt- und Handelsschiffen, die temporäre Wasseraufbereitung in Olympiadörfern oder sei es das Entfernen von Steinschliff aus dem Prozesswasser in der Grabsteinherstellung.  Neben Neuanlagen bieten wir unserer Kundschaft auch Umbauten und Sanierungen ihrer Anlagen an. Hierbei prüfen unsere Teams im engen Austausch mit den Kunden, welche Komponenten tatsächlich ersetzt werden müssen und welche noch nicht am Ende ihres Lebenszyklus angekommen sind. Letztere werden natürlich weitergenutzt. In solchen Projekten lernen wir außerdem, wie wir die Konstruktion von Neuteilen so optimieren können, dass sie einfacher zu recyceln – oder besser noch – mit geringem Aufwand reparabel sind, statt ersetzt werden müssen. So schaffen wir nach und nach Richtlinien für die Konstruktion und Materialauswahl, die uns der Kreislaufwirtschaft näherbringen. Teils sind es kleine Veränderungen: In Verbindung mit dem richtigen Werkstoff sparen dezentrale Dauerschmierbuchsen anstelle von Zentralschmierung viel Schmiermittel. Und wo im Sondermaschinenbau aus dem Vollen gedrehte oder gefräste Komponenten so umkonstruiert werden, dass sie im Schadensfall nicht mehr komplett ersetzt werden müssen, sondern der Austausch eines Adapters reicht, trägt auch das zur Energie- und Ressourceneffizienz bei. Unsere Ingenieurteams haben für solche Optimierungen ausdrückliche Rückendeckung. Bei Bellmer gibt es seit vielen Jahren einen Masterplan zur kontinuierlichen Verbesserung. Wir nehmen uns unsere Lösungen in regelmäßigen Abständen vor und diskutieren, was wir daran verbessern können. Nachhaltigkeits- und Umweltaspekte spielen dabei eine wichtige Rolle.

Wie wirkt sich das auf Ihre Forschung und Entwicklung und die Zusammenarbeit mit Kunden und deren Materiallieferanten aus?

Es entstehen spannende neue Partnerschaften. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit einem niederländischen Hersteller von Platten, der ohne Klebstoffbeimischung aus Recyclaten in der Papierherstellung presst. Sein Ziel ist es, mit diesen Verfahren langlebige Werbeaufsteller, aber auch Pressspanplatten für die Möbelindustrie oder den Messebau zu fertigen. Dank des fehlenden Klebstoffs lassen diese sich immer wieder recyceln. Eine erste Anlage ist schon voll ausgelastet. Aktuell baut das Unternehmen eine zweite, zu der wir unsere Separationstechnik beisteuern. In unserer Forschung und Entwicklung sind Materialkreisläufe und Ressourceneffizienz schon seit Langem ein Thema. Wir stellen Gesamtsystembetrachtungen an und arbeiten kontinuierlich daran, die Anzahl der Bauteile und eingesetzten Materialien zu reduzieren. Auch hier greifen ökologische und ökonomische Überlegungen direkt ineinander.

Steigt die Nachfrage nach Ihrer Circular Competence weltweit – oder ist das eher ein regional begrenztes Phänomen?

Viele Kunden sind empfänglicher für ökologische Argumente und meinen es wirklich ernst mit der Nachhaltigkeit. Doch längst nicht alle stellen Total-Cost-of-Ownership-Betrachtungen an, bevor sie Investitionsentscheidungen treffen. Oft geht es nur um den Kaufpreis, nicht um den Energie- und Ressourcenbedarf oder darum, wie lange eine Maschine hält. Je entwickelter die Märkte, desto eher sind Kunden dazu bereit, Mehrkosten für effizientere Lösungen zu akzeptieren. Aber wir registrieren auch in hoch entwickelten Märkten, dass es manchem Akteur mehr um den Schein als um das Sein geht. Greenwashing ist und bleibt ein Thema. Doch insgesamt wächst die Bereitschaft, in saubere Technologien zu investieren.

Umweltschutz ist oft regulatorisch getrieben. Sind die Rahmenbedingungen für den Einstieg in die Circular Economy richtig gesetzt?

Ich denke, dass die Verengung auf CO2 in vielen Fällen zu kurz greift. Denn es hängt dann zu sehr davon ab, wo die Systemgrenzen gezogen werden, ob ein Produkt als umweltfreundlich gilt oder nicht. Betreiben wir Elektrofahrzeuge mit Kohlestrom, ist nichts gewonnen. Und wenn der Stahl nicht im Inland produziert, sondern importiert wird, sinkt zwar der deutsche CO2-Ausstoß, doch für die globale Bilanz ist wichtiger, wie modern ein Stahlwerk ist und welche Energieträger es nutzt. Wir müssen also das Gesamtsystem betrachten, statt willkürliche Systemgrenzen zu setzen und damit nur unser Gewissen zu beruhigen. Das wird aber im globalen Maßstab zu komplex – und je höher die Komplexität, desto mehr Schlupflöcher tun sich für jene auf, die eher an schnellem Profit als an nachhaltigen Lösungen interessiert sind. Es bedarf messbarer, nachvollziehbarer und global geltender Parameter, deren Einhaltung überwacht wird. Denkbar wäre, einem Meter Schweißnaht oder einem Kilowatt Motorleistung einen ökologischen Fußabdruck zuzuordnen, der sich am effizientesten Verfahren im Markt orientiert – und der nicht anderweitig kompensierbar ist. Nur so kommen wir dahin, dass klima- und umwelt-freundliche Lösungen schnell in die Märkte finden. Dagegen sorgen unilateral gesetzte komplizierte Regularien für ungute Verzerrungen der Lage. Sie schwächen im Wettbewerb genau diejenigen, die viel Zeit, Kraft und Geld auf die Entwicklung sauberer Technologien verwenden.

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