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(18.07.2016 / saj)

"Wir wollen auch im Papiermarkt wachsen"

VDMA-Interview mit Dr. Joachim Schönbeck (Bild) von der Andritz AG.

Der österreichische Technologiekonzern hat weltweit rd. 24.500 Mitarbeiter und setzte letztes Jahr knapp 6,4 Mrd. Euro um, ein neuer Rekordwert in der über 160-jährigen Geschichte des Unternehmens. Auch die Papier- und Zellstoffsparte wächst. Dr. Joachim Schönbeck ist im Vorstand für "Pulp & Paper - Capital Systems" verantwortlich. Im Interview erklärt er die Entwicklung des Geschäftsbereichs. Dank gezielter Zukäufe könne man Gesamtanlagen vom Holz bis zum Papier aus einer Hand anbieten. Auch belohne der Markt die enormen Fortschritte bei der Ressourcen- und Energieeffizienz. Hilfreich sei auch der klare Fokus auf Anlagen für Zellstoff, Verpackungs- und Hygienepapiere.

 

Herr Dr. Schönbeck, wo liegt Ihr Fokus im Geschäftsbereich "Pulp & Paper"?
Hier dreht sich alles um Zellstoff- und Papieranlagen. Wir haben uns gezielt entlang der Wertschöpfungsketten unserer Kunden verstärkt. Einerseits, um Gesamtanlagen aus einer Hand anbieten zu können. Andererseits, um übergreifendes Know-how zur Optimierung der Gesamtprozesse zu erwerben. Diese Strategie hat dazu geführt, dass Andritz seit über einem Jahrzehnt mit Raten von durchschnittlich 14% im Jahr wächst. Die Akquisitionen und organisches Wachstum haben zu gleichen Teilen dazu beigetragen. Viele der zugekauften Unternehmen sind in unserer Konzernstruktur aufgeblüht und konnten ihr Geschäftsvolumen zum Teil deutlich erhöhen.


Ihr starkes Wachstum überrascht. Spüren Sie nichts von den Problemen im Papiermarkt?
Die Schwierigkeiten im Papierbereich betreffen uns nicht so stark, weil wir keine Produktionstechnik für grafische Papiere anbieten. Dagegen sind wir im Bereich "Papiere und Pappen für Hygiene und Verpackungen" stark, die ebenso wie der Zellstoffmarkt global wachsen. Im Bereich "Verpackungspapiere" bauen wir unser Geschäft aus.


Zellstoff- und Papierproduktion gehen mit enormem Energie- und Ressourcenverbrauch einher. Welche Ansätze verfolgt Andritz, um hier gegenzusteuern?
Die Zellstoffindustrie hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert, gerade was die Verwertung von Reststoffen und den Energiebedarf betrifft. Eine moderne Zellstofffabrik produziert doppelt so viel Energie, wie sie verbraucht – speist also Energie ins Netz ein. Noch in den 1970er-Jahren wurde die sehr energiehaltige Schwarzlauge in Flüsse eingeleitet. Heute wird sie selbstverständlich energetisch genutzt. 


Ist diese Entwicklung von gesetzlichen Auflagen oder Kundenwünschen getrieben?
Beides spielt eine Rolle. Infolge strengerer Umweltauflagen sind die Emissionen von Stauben, Schwefel, Stickstoff oder Phosphor seit 1992 um 60 bis 90% gesunken. Zugleich fallen über 90% weniger Abfälle an, weil alle Reststoffe wiederverwendet oder energetisch genutzt werden. Steigende Energie- und Rohstoffpreise haben die Entwicklung beschleunigt. Energieeffizienz ist heute ein starkes Verkaufsargument. Zellstoff- und Papierhersteller stehen im Wettbewerb und achten bei ihren Investitionen sehr genau auf die laufenden Kosten einer Anlage.

 

Werden die Effizienzpotenziale bald erschöpft sein?
Nein, bis jetzt haben wir die Holzanteile, die nicht zu Zellstoff und Papier werden, lediglich energetisch genutzt. Inzwischen arbeiten wir aber an der stofflichen Verwertung. Vor allem das Lignin besitzt hier erhebliches Potenzial – sei es für die Produktion von Dämmstoffen, Verpackungsmaterial oder Klebstoffen - oder sei es für die Herstellung von Ethanol. Verbrennen kann man es später, nach der Nutzung, immer noch. Beim Holz macht es generell Sinn, es so lange und dank Recycling auch so oft wie möglich zu nutzen, bevor es schließlich verbrannt wird.


Wie hoch ist Ihre Investitionsquote für Forschung und Entwicklung?
Rund 2 bis 3% des Umsatzes, doch im Anlagenbau ist es de facto so, dass wir das Gros der Innovationen in Projekten erarbeiten und oft erst bei Kunden prototypisch umsetzen. Der Schritt vom Labormaßstab zur industriellen Anlage ist zu groß. Unsere Entwickler experimentieren mit Holzsorten, optimieren chemische und mechanische Prozesse für höhere Ausbeuten hochwertiger Fasern bei sinkendem Energie- und Wassereinsatz. Auch autonome Fabriken sind ein wichtiges Thema für unsere Kunden – um Störungen durch Fehlbedienung auszuschließen. Das setzt neben der umfassenden sensorischen Überwachung der Anlagen eine intelligente Auswertung voraus, die Anwendern frühzeitig Handlungsempfehlungen gibt, wenn sich Parameter im Prozess verschieben. Künftig könnte die Kontrolle komplett auf die IT übergehen, um eine vollautonome Prozessführung zu realisieren. Wir sind auf dem Weg zur Industrie 4.0 schon sehr weit und sammeln täglich neue Erkenntnisse darüber, wie unsere Kunden die anfallenden Daten noch besser auswerten und nutzen können. Das alles ist im Prinzip nicht neu, doch die enormen Fortschritte der Datenverarbeitung und Vernetzung ermöglichen nun die Realisierung früherer Visionen. Die Echtzeitkommunikation erlaubt es uns, von Graz aus Anlagen in Brasilien zu steuern. Und anhand von Simulation können wir heute die gesamte Steuerungs- und Automatisierungssoftware einer Anlage validieren, bevor diese Anlage gebaut ist. Das hilft enorm bei Qualitätssicherung und pünktlicher Auslieferung.


Stichwort Papiergüte: Verändert das steigende Qualitätsbewusstsein im Verpackungsmarkt die Anforderungen an Pappen und Papiere?
Ja. Verpackungspapiere müssen durch technische Eigenschaften wie hohe Dehn- und Rissfestigkeit und durch sehr homogene Zusammensetzung im Sinne perfekt bedruckbarer Oberflächen überzeugen. Wir entwickeln unsere Anlagentechnik stetig weiter, um die steigenden Anforderungen zu erfüllen.


Wo sehen Sie Ihren Geschäftsbereich "Pulp & Paper" im Jahr 2030? 
Ich gehe fest davon aus, dass wir unsere führende Rolle im Zellstoffbereich weiter ausbauen und bis dahin auch im Papierbereich Marktanteile gewinnen. Der globale Verpackungsmarkt wächst und wachsendes Hygienebewusstsein sowie die immer größere werdende Mittelschicht in Entwicklungs- und Schwellenländern wird mehr Nachfrage auslösen. Um sie umweltverträglich zu decken, werden wir unseren Kunden zu noch energie- und ressourceneffizienteren Prozessen verhelfen. Kurz: Unsere positive Entwicklung wird sich fortsetzen.