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(10.08.2015 / saj)

"Digitalisierung und Industrie 4.0 bergen große Chancen"

Im Interview spricht Bernd Supe-Dienes (Bild) über Trends in der Druck- und Papierbranche, Chancen der Digitalisierung und über seine Euphorie mit Blick auf die Industrie 4.0.

In 102 Jahren Firmengeschichte ist die Dienes Werke für Maschinenteile GmbH & Co KG aus Overath bei Köln zu einem führenden Anbieter von Messern, Messerhaltern, Schneidesystemen sowie von Ventilen gereift. Die Brüder Bernd und Rudolf Supe-Dienes führen das auf weltweit rd. 500 Mitarbeiter gewachsene Familienunternehmen in dritter Generation.


Herr Supe-Dienes, können Sie einen kurzen Überblick über Ihre Firmengeschichte geben? 
Karl Rudolf Dienes hat die Firma 1913 in Remscheid gegründet. Als nach dem 1. Weltkrieg soziale Unruhen im Ruhrgebiet zunahmen, ließ er sich im ruhigeren Overath in einer alten Mühle mit Wasserkraft nieder. Vor der Gründung arbeitete er bei einem Schneidwerkzeuganbieter. Er war ein Tüftler, der eigene Ideen umgesetzt hat. Sein erstes Patent ging um die Fixierung von Untermessern auf einer glatten Welle, um die Schnittbreite konstant zu halten. Als zweites Standbein fertigte er Ventile für Kolbenverdichter. Weil sie ebenso wie Rundmesser rotationssymmetrisch sind, lag das fertigungstechnisch nahe.


Die Diversifizierung hat bis heute Bestand. Wann wurde Dienes zu einem internationalen Unternehmen?
In Europa war unser Großvater von Anfang an unterwegs – oft als Trio mit den Chefs von Körber und Kampf. Nach dem 2. Weltkrieg knüpfte dann mein Vater Bernd Horst Supe Kontakte in die USA. Ende der 70er Jahre baute er dort eine Tochtergesellschaft mit Produktion auf. Als der Niedergang der Kolbenverdichter einsetzte, hat er intensives Marketing für unsere Messer betrieben. Dafür hat er Direkt-Mailings in die ganze Welt geschickt. Seitdem  haben wir Vertreter in sehr vielen Ländern, die unsere Produkte mit mehr oder weniger Umsatz vertreiben. Seit den 90er Jahren haben wir eine Fertigung in Ungarn und Vertriebstöchter in weiteren Ländern, darunter in Asien.


Fertigen Sie auch in Asien?
Nein. Unser Geschäft ist global gesehen so klein – und unsere Messer und Schneidsysteme so hochwertig – dass der Transport nicht so sehr ins Gewicht fällt. Wir leben von der Qualität unserer Produkte. Der Aufwand, diesen Qualitätsanspruch in einem Werk in Asien zu wahren, war uns bislang zu hoch. Bei Verschleißteilen schränkt uns das zugegebenermaßen ein.


Sie haben ein eigenes Schneidelabor. Was hat es damit auf sich?
Die Möglichkeit, Material von Kunden unter Laborbedingungen zu schneiden und uns so an Lösungen für sehr spezifische Schneideaufgaben heranzutasten, ist wichtig. Teilweise stellen wir unser Labor auch Kunden zur Verfügung, deren Entwickler hier ohne unser Beisein Schneidprozesse proben. Oft berührt das Schneiden ja sehr sensibles Knowhow.


Dienes ist in vielen Branchen aktiv. Ihre Rund- und Langmesser trennen Gummi, Papier, Textilien, Aluminium, Klebeband, Etiketten und Einiges mehr. Wo liegen Ihre Schwerpunkte?
Die verschieben sich jeweils mit der Konjunktur der Branchen. Bis 2006/07 lief Papier sehr gut. Da ist es nun sehr ruhig. Gleiches gilt für den Druck. Bei Metall- und Kunststofffolien, Vliesstoffen und Verpackungen läuft es aktuell besser. Schneiden ist eine Querschnitts-Technologie. Wir sind nicht an einen Markt gebunden.


Wie sehen Sie die weitere Entwicklung bei Druck und Papier?
Die Messe ist nicht gelesen. Die Branche erlebt einen starken Strukturwandel. Der Wertschöpfungsanteil der Hersteller wird tendenziell abnehmen. Sie werden immer mehr Komponenten zukaufen und sich auf die Systemintegration verlegen. Das kommt uns entgegen. Denn wir bauen schon lange Baugruppen, die komplett in die Steuerung der Maschinen von unseren Kunden integriert werden.


In welchem Marktsegment bewegen Sie sich?


Mit unseren Messern decken wir die obersten fünf Prozent im Weltmarkt ab. Bei den komplexeren Messerhaltern die obersten 30 Prozent. Unsere Kunden verlangen höchste Präzision und Lösungen, auf die auch in hoch automatisierten Prozessen Verlass ist. Sie müssen fehlertolerant sein und Störfälle vorhersehen, ehe sie eintreten. Unsere Systeme können das. Sie sind so ausgelegt, dass sie Fehler von Bedienern durch intelligente Sensorik und Steuerungstechnik ausschließen. So messen sie nach einem Messerwechsel eigenständig, wie groß das neue oder nachgeschliffene Messer ist. Das ist die Voraussetzung für automatisierte Wechsel und minimierte Umrüstzeiten bei händischem Messerwechsel. Wo immer der Rationalisierungsdruck wächst und Hersteller ihre Produktion automatisieren, sind unsere Lösungen gefragt. 


Sind Kunden bereit, das zu honorieren?
Die bessere Technologie ist auf Dauer die preiswertere Lösung, trotz höherer Startkosten. Wer Investitionen scheut, verliert in umkämpften Märkten den Anschluss. Diese Einsicht wächst. Doch neue Konzepte brauchen Zeit. So ist noch keine Papierfabrik auf unser Angebot eingestiegen, uns pro Tonne geschnittenem Papier zu bezahlen, obwohl sie dann immer die beste Technik zum exakt kalkulierbaren Preis bekämen. Ich bin fest überzeugt, dass solche Konzepte kommen. Wir würden dann als Komplettdienstleister nicht mehr Messer sondern das Schneiden verkaufen.


Inwieweit bemerken Sie den Trend zur Digitalisierung?

Mit der Digitalisierung gehen kleinere Auflagen einher, schnelle Wechsel der Endformate und mehr Vielfalt der Substrate. Druckereien müssen viel häufiger umrüsten, was sehr zeit- und personalintensiv ist. Es sei denn, die Umrüstung läuft innerhalb von Minuten vollautomatisch, samt Messerwechsel. Für automatisierte Schneidsysteme birgt die Digitalisierung große Chancen. 


Was sind außer Produktivitätsdruck die Treiber der Automation?
Gerade im Druckbereich ist es die Schnittqualität. Früher gab es im Zeitungsdruck viel Staub. Im Vielfarbdruck ist Staub tabu. Papierhersteller müssen staubfreie Rollen liefern und beim Schneiden im Druckzentrum darf erst recht kein Staub entstehen. Es braucht hochentwickelte Schneidsysteme mit optimalen Messern. Automatisierte Messerwechsel hat die Textilbranche zuerst nachgefragt. Anlagen zur Vlies-Herstellung lassen sich nicht einfach stoppen. Schneidwerkzeuge müssen darum im laufenden Prozess gewechselt werden. Je schneller das geht, desto weniger Ausschuss. Der Schlüssel ist die automatische Erkennung und Positionierung der Messer. Diese Technologie sorgt nun in weiteren Bereichen für höhere Produktivität. Etwa bei Herstellern von Papphülsen, die ihre Schneidemaschinen bis zu 25 mal am Tag umrüsten. Dank Automation schafft heute eine Schneidemaschine, wofür früher wegen der Rüstzeiten drei nötig waren.


Verkaufen Sie dadurch nicht viel weniger Messer?
Natürlich. Zumal dank verbesserter Prozesskontrolle auch der Verschleiß drastisch sinkt. Unsere Kunden profitieren also mehrfach – und sind bereit, für die überlegene Lösung zu bezahlen. Zumal sie oft an anderer Stelle sparen. So auch bei den Papphülsen, wo der Trend zu einlagiger Pappe geht, was die Materialkosten senkt. Dafür sind präzisere Schneidsysteme nötig, die wir anbieten. Das ist eines von vielen Beispielen. Weil die Lohnkosten weltweit steigen, wächst der Druck auf Produktivität und Qualität der Fertigung stetig. Das birgt Chancen für Hochlohnländer wie Deutschland. Mit der Industrie 4.0 kehren Fertigungsprozesse zurück, weil der Anteil der Lohnkosten sinkt.


Spielt Industrie 4.0 auch in der Fertigung bei Dienes eine Rolle?
Ja. Industrie 4.0 hat bei uns verschiedene Dimensionen. Einen Anfang machen QR-Codes auf unseren Messern. Bediener können darüber in Kontakt mit unserem Service treten. Wir werden weitere Smartphone-Apps in unsere Prozesswelt einbinden. Noch wichtiger sind aber die Möglichkeiten in unserer eigenen Fertigung. Seit fast 30 Jahren denken wir über Automation nach, die bisher an unseren geringen Stückzahlen scheiterte. Jetzt platzt der Knoten. Ich bin da fast euphorisch. Denn automatisierte Fertigung erlaubt es uns, auch an Standorten in Fernost unsere Qualitätsansprüche zu realisieren. Für uns eröffnen sich ganz neue betriebswirtschaftliche Horizonte.


Was ist der große Unterschied zu den letzten 30 Jahren?
Wir haben im Bereich der Werkzeugmaschinen ein Niveau der Vernetzung erreicht, dass die Kombination verschiedener Maschinen zu einer  durchgängigen Prozesskette vom Vorprodukt bis zur Verpackung des fertigen Endprodukts ungemein erleichtert. Und das in einstelligen Stückzahlen. Was bei Fotobüchern gängige Praxis ist, wird auch bei unseren Messern möglich. Durch die Automation wird unsere Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigen. Wir fertigen Messerrohlinge wie gehabt in großer Stückzahl vor. Danach läuft die Veredelung automatisiert weiter – in reproduzierbar hoher Präzision und mit stark reduzierten Lieferzeiten.


Wo liegt nach 100-jähriger Entwicklung das Innovationspotenzial ihrer Produkte?
Nehmen Sie allein die Sensorik! Unser Augenmerk liegt auf dem Berührungspunkt zwischen Ober- und Untermesser. Vor, während und nach dem Schneidprozess gilt es exakt zu steuern, wie die beiden Messer zusammenwirken, um die bestmögliche Schnittqualität bei möglichst wenig Verschleiß zu erreichen. Wenn etwa schwerer Karton zu schneiden ist, presst der spröde Karton die Messer zusammen. Mit Sensoren überwachen wir den Druck zwischen Unter- und Obermesser und bringen wenn nötig Gegendruck in den Messerhalter ein, um den Verschleiß zu minimieren. Dadurch halten die Messer sehr viel länger. Noch vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen. Leistungsfähige Chips, immer präzisere Sensoren und die Vernetzung werden uns helfen, Probleme aus der Welt zu schaffen, die lange als unlösbar galten.

 

Auch beim Schneiden neuer Materialien?
Sicher! Denken Sie an faserverstärkte Kunststoffe, Elektroden von Lithium-Ionen-Batterien oder flexible Solarzellen. Es tun sich viele neue Anwendungsfelder auf, wo höchste Anforderungen an die Schnitte gestellt werden. Wir haben diese Zukunftsmärkte im Blick und beteiligen uns an der Entwicklung. Daneben prüfen wir, ob neue Verfahren die Fertigung unserer Messer weiterbringen können. Seien es additive Verfahren zur Beschichtung oder gezieltes Einbringen von Molekülen in die Werkstoffe. Da laufen einige sehr interessante Entwicklungen.


Konkret ist ihr Schneidesystem "Variocut", bei dem das Messergewicht  auf 10 kg halbiert wurde, damit es eine Person allein wechseln kann.
Wir sind gespannt, wie der Markt reagiert. Erste Kunden haben bestellt. Die Vorteile werden sich herumsprechen. Entwickelt hat das System ein externer Partner. Im Prinzip ist das Messer zweigeteilt. Ausgetauscht wird nur die Schneide, was Montagehilfen zusätzlich erleichtern. Maschinenbauer, die auf den VarioCut setzen, können den Messerträger fest integrieren, damit ihre Kunden künftig nur die leichte Schneide wechseln müssen. Wir sind sehr gespannt auf die Resonanz. Mit solchen Lösungen, mit unseren Beiträgen zur Automatisierung und unseren hoch präzisen Schneidsystemen hoffen wir, uns dauerhaft von der stark zunehmenden Konkurrenz asiatischer Wettbewerber absetzen zu können. Unser Markt wächst seit Langem nur noch einstellig. Es ist nicht einfach, unseren Anteil zu halten. Doch wir arbeiten hart daran und konnten unseren Kunden bisher immer zeigen, dass sich unsere Lösungen für sie rechnen.