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(17.01.2020 / sbr)

Tragbare Elektronik am und im Körper

Gedruckte Elektronik revolutioniert die Medizin. Neuentwicklungen aus diesem Bereich zeigt die LOPEC, internationale Fachmesse und Kongress für gedruckte Elektronik, vom 24. bis 26. März 2020 in München. Ein Gespräch mit LOPEC-Plenarredner John Rogers, Professor an der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois, über Monitoring-Systeme und andere flexible elektronische Geräte, die direkt auf der Haut oder als Implantat im Körper getragen werden.

Professor Rogers, Sie haben Chemie und Physik studiert, man könnte Sie auch als Materialwissenschaftler bezeichnen, vielleicht sogar als Elektroingenieur. Wie sind Sie zur gedruckten Elektronik gekommen?

„Als Postdoktorand in Harvard habe ich in den 1990er Jahren chemische und materialorientierte Aspekte der Nanofabrikation erforscht. Das war vor allem für die Mikroelektronikindustrie relevant, aber auch für den aufstrebenden Bereich der gedruckten Elektronik. Anschließend war ich eine Zeit lang bei den Bell Laboratories. Dort haben wir Programme zur Anpassung dieser Methoden entwickelt, um eine direkte Strukturierung der damals hochinteressanten organischen Halbleitermaterialien zu ermöglichen. Wir haben flexible, papierähnliche Displays konzipiert, kostengünstige Umweltsensoren und andere Arten von Technologien, die herkömmliche Silizium-basierte Systeme ergänzten und erweiterten, statt mit ihnen zu konkurrieren. Ein Teil der Schutzrechte unserer damaligen Entwicklungen wurde von Unternehmen lizenziert. Sie haben damit letztendlich die Kommerzialisierung der heute verfügbaren flexiblen Display-Technologien angetrieben.“

Mittlerweile konzentrieren Sie sich auf medizinische Anwendungen.

„Ja, nach meiner Zeit bei Bell Laboratories bin ich in die akademische Forschung zurückgekehrt. Mein Schwerpunkt verlagerte sich auf Anwendungen flexibler Elektronik und später auf formbare, dehnbare Elektronik als hochinformative und eng verknüpfte Schnittstelle zu biologischen Systemen im Allgemeinen und zum menschlichen Körper im Besonderen – Themen, die wir bei Bell nicht auf dem Schirm hatten. In einem Fall konzipierten wir hoch entwickelte flexible biomedizinische Anwendungen, die sich kaum spürbar auf der Hautoberfläche anbringen lassen. Diese hautähnliche oder „epidermale“ Elektronik erstellt Datenströme in klinischer Qualität über den Gesundheitszustand, und zwar kontinuierlich außerhalb von Krankenhaus und Labor. Dabei ist die mechanische Flexibilität der Elektronik entscheidend, denn die Geräte müssen sich perfekt an die Formen des menschlichen Körpers anpassen und natürliche Bewegungen ohne Einschränkungen mitmachen.“

Welche Vorteile bietet die gedruckte Elektronik noch außer der Flexibilität?

„Einige Leute sehen in Drucktechniken vor allem eine kostengünstige Alternative zu den gängigen Herstellungsmethoden. Auch wenn die Kosten stets ein wichtiger Aspekt sind, liegt unser Fokus eher auf einer verbesserten oder einzigartigen Funktionalität bei vernünftigen Kosten – die Kosten selbst sind jedoch nicht die primäre Motivation. Bei Medizinprodukten steht die Funktion im Vordergrund, und die Rentabilität hängt davon ab, ob die Geräte samt ihrer Kosten die Gesundheitsausgaben insgesamt senken und Behandlungen verbessern.“

Sie haben unter anderem ein Monitoring-Pflaster für Babys entwickelt.

„Ja, diese kabellosen, flexiblen Sensorplattformen werden sanft und direkt auf die Haut aufgebracht. Über die Haut als Messschnittstelle überwachen wir alle Vitalparameter – Herzschlag, Atemfrequenz, Körpertemperatur, den Sauerstoffgehalt im Blut und den Blutdruck. In Sachen Präzision, Genauigkeit und Zuverlässigkeit ist unsere Sensorplattform vergleichbar mit den hoch entwickelten Geräten, die üblicherweise auf neonatalen und pädiatrischen Intensivstationen im Einsatz sind. Wir denken dabei vor allem an Anwendungen für frühgeborene und lebensbedrohlich erkrankte Neugeborene, deren Gesundheitszustand sehr fragil ist und somit eine kontinuierliche Überwachung ohne die Belastung durch herkömmliche kabelgebundene Systeme erfordert. Unsere hautähnlichen drahtlosen Sensoranwendungen verbessern die Versorgung dieser Patienten qualitativ und erleichtern zudem den Umgang zwischen Eltern und Kind – das Halten, Berühren und andere Formen der Interaktion, die bekanntermaßen entscheidend für eine gesunde Entwicklung sind.“

Drucken Sie die Elektronikkomponenten für die Monitoring-Pflaster direkt auf Folien?

„Bestimmte Komponenten drucken wir, andere stellen wir mit alternativen Techniken her – wir wählen jeweils das Verfahren, das unter Berücksichtigung von Kosten, Funktion, Größe, Formfaktor und Biokompatibilität am sinnvollsten ist. Mit diesem nicht dogmatischen, hybriden Ansatzes können wir Sensoren bauen, die einen Gesamtkostenvorteil für die Versorgung dieser Art von Patienten bieten, selbst unter extrem ressourcenbeschränkten Bedingungen. Durch die Unterstützung der Gates Foundation und der Save the Children Foundation haben wir beispielsweise unsere Sensorplattform erfolgreich in Entwicklungsländern eingeführt. Ich war im Dezember in Kenia, Sambia und Tansania, um bei der Einführung zu helfen. Unsere Systeme werden dort in Krankenhäusern für Frühgeborene und werdende Mütter während der Geburt eingesetzt, um die Sterblichkeit in diesem Bereich zu reduzieren.“

Sie entwerfen auch Elektronik aus wasserlöslichen, biologisch abbaubaren Materialien. Welchen Zweck verfolgen Sie damit?

„Das Konzept basiert auf Elektronikkomponenten und Systemen, deren Funktion nur für einen begrenzten Zeitraum benötigt wird. Die Plattformen sind so konstruiert, dass die Materialien nach diesem Zeitraum automatisch und vollständig – rückstandslos – verschwinden. Im Kontext der Biomedizin denken wir zum Beispiel an temporäre Implantate für den Einsatz im Körperinnern, die einen natürlichen, zeitabhängigen biologischen Prozess unterstützen – die heilendes Gewebe elektrisch stimulieren oder pharmazeutische Wirkstoffe freisetzen. Wichtig sind auch Überwachungsfunktionen: Sensoren können so konfiguriert werden, dass sie frühzeitig warnen, wenn sich an der Stelle eines operativen Eingriffs eine Infektion entwickelt. Hierfür bauen wir Anwendungen, die sich in Bioflüssigkeiten durch eine kontrollierte Hydrolyse in biokompatible Endprodukte umwandeln. Der Körper scheidet diese Endprodukte in normalen Prozessen aus, wodurch kein zweiter chirurgischer Eingriff zur Entfernung mehr nötig ist.“

Die Implantate sollen einerseits verlässlich funktionieren, andererseits aber von selbst verschwinden. Wie gelingt der Spagat zwischen Zuverlässigkeit und Abbaubarkeit?

„Der Schlüssel dazu liegt zum einen in der Entwicklung geeigneter bioresorbierbarer elektronischer Materialien und zum anderen in der Gestaltung passender Gerätearchitekturen und Systemlayouts. Optimal ist es, wenn die Lebensdauer der Elektronik durch eine Materialkomponente gesteuert wird, die keine elektronische Funktion besitzt. Bei einigen Beispielen nutzen wir für diesen Zweck die Verkapselungsschicht: Erst wenn sich das Material der Verkapselung nach einer bestimmten Zeit, nach der definierten Lebensdauer, auflöst, beginnt die Zersetzung des elektrisch aktiven Materials.“

Werden Sie darüber auch auf dem LOPEC Kongress sprechen?

„Ein großer Teil meines Vortrags auf der LOPEC wird auf Monitoring-Systeme für Neugeborene eingehen und auf deren Anwendung in Afrika. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich auch über erweiterte Feldversuche in Indien und Pakistan berichten, die dann ebenfalls laufen. In der zweiten Hälfte meines Vortrags möchte ich unsere jüngsten Arbeiten zu flexiblen körperintegrierten mikrofluidischen Systemen vorstellen. Wir haben zum Beispiel ein Pflaster für die Erfassung, Speicherung und Biomarker-Analyse von Mikrolitern von Schweiß entwickelt. Vielleicht gehe ich auch auf die biologisch abbaubare Elektronik ein.“

Was erwarten Sie von Ihrer Teilnahme am LOPEC Kongress?

„Ich freue mich besonders auf die Beiträge der anderen Vortragenden und der Teilnehmer. Ich sehe häufig Synergien zwischen unseren eigenen Arbeiten und den Aktivitäten anderer Forschungsgruppen – Interdisziplinarität und Zusammenarbeit sind wesentliche Aspekte unserer Arbeit in diesen Bereichen. Der LOPEC Kongress bietet eine großartige Gelegenheit für den Informationsaustausch. Solche Gespräche führen heutzutage üblicherweise zu den wichtigsten Ergebnissen von Konferenzen – zu Bereichen für gemeinsame Arbeiten und Kooperationen.“

Mit wem arbeiten Sie aktuell zusammen?

„Da sich viele unserer aktuellen Arbeiten mit der Entwicklung fortschrittlicher Medizintechnik befassen, stammen mehrere Partner aus dem klinischen Bereich. Wir haben aber auch Projekte zusammen mit der Konsumgüterindustrie. Mit La Roche-Posay aus der L’Oréal-Gruppe beispielsweise haben wir einen Sensor auf den Markt gebracht, der quantitativ verfolgt, wie viel UV-Sonnenlicht man ausgesetzt ist. Die Alleinstellungsmerkmale dieser Technologie sind, dass das millimeterkleine Gerät drahtlos und ohne Batterie funktioniert. Als Grundlage für ein gemeinsames Produkt mit dem Sportgetränkehersteller Gatorade haben wir Systeme für die Schweißanalyse entwickelt, die den Verlust an Schweiß und Elektrolyten messen. Mit Unternehmen aus den Life Sciences wiederum arbeiten wir an implantierbarer Elektronik für die Herzmedizin.“

Welche Bedeutung besitzt die LOPEC als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Industrie?

„Wenn man als Akademiker mit seiner technischen Forschung breite Wirkung erzielen möchte, muss man sich intensive Gedanken über die Kommerzialisierung und verschiedene Wege hin zu Fertigung und Produktion machen – Dinge, die im Universitätsumfeld üblicherweise nicht passieren. Und genau das erhoffe ich mir vom LOPEC Kongress: dass wir diese Gelegenheit nutzen, um unseren bestehenden Bemühungen neue Impulse zu geben, und Chancen erkunden für das gemeinsame Arbeiten an neuen Ausrichtungen und Technologien in diesem dynamischen Bereich der flexiblen und gedruckten Elektronik.“