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(24.04.2018 / sbr)

"Wir steuern ab sofort in neuem Fahrwasser."

Anfang 2018 überraschte die Kolbus GmbH & Co. KG mit dem Verkauf ihres Klebebinder- und Buchliniengeschäfts an Müller Martini. Kai Büntemeyer, geschäftsführender Gesellschafter von Kolbus und Vorstandsvorsitzender des VDMA Fachverbandes Druck- und Papiertechnik, erklärt im Interview die Gründe für die klare Neuausrichtung auf den Packmittelmarkt, die konkrete Umsetzung der Übernahme und die Herausforderung, die Mitarbeiter vom Kurswechsel zu überzeugen.

Herr Büntemeyer, was bleibt nach dem überraschenden Verkauf ihres Klebebinder- und Buchlinienbereichs an Müller Martini übrig von Kolbus?

Kai Büntemeyer: Es ist nicht so schlimm, wie es klingt. Ich erwarte, dass der Umsatz der Kolbus-Gruppe um etwa 15 Prozent sinken wird. Wir geben zwar einen großen Bereich an Müller Martini ab, bauen zugleich aber unser Komponentengeschäft deutlich aus. Wir hatten 2017 einen Gesamtumsatz von gut 135 Mio. Euro, zu dem der Komponentenbau für andere Maschinenbauer 12 Mio. Euro beitrug. Hier wird sich unser Umsatz vervielfachen, da wir die neue "Maschinenfabrik Müller Martini Buchbindesysteme" mit Komponenten beliefern.

Wie geht es für die Mitarbeiter in Ihrem Sondermaschinenbau weiter?

Büntemeyer: Mit der Übernahme wechseln 253 Mitarbeiter von uns zu Müller Martini und werden dort weiterhin Buchbindesysteme entwickeln, bauen und vertreiben. Im Vorfeld der Übernahme haben wir ein Unternehmen mit diesen Mitarbeitern, den zugehörigen Patenten, Konstruktionen etc. ausgegründet, das komplett an Müller Martini gegangen ist. Geplant ist eine Zwei-Marken-Strategie, in der unser Produktprogramm weitergeführt und die Kunden im Vertrieb und Kundendienst dieselben Ansprechpartner behalten werden. Wir haben bewusst an ein langfristig planendes Traditionsunternehmen verkauft und nicht an Finanzinvestoren.

Bleiben die 150 Forschungs- und Entwicklungsmitarbeiter und 8,5 Prozent F&E-Quote?

Büntemeyer: Gemessen am Umsatz wird die F&E-Quote sinken, da der Komponentenbau so sehr wächst, und weil gut die Hälfte der F&E-Mitarbeiter mit den Buchbindesystemen ins neue Unternehmen wechselt. Allerdings werden wir unsere Forschung und Entwicklung im Sondermaschinenbau für den Packmittelbereich deutlich steigern.

Was sind die Gründe für die klare Neuausrichtung auf Packmittel?

Büntemeyer: Der Markt für Buchbindesysteme ist gesättigt und stagniert. Es handelt sich um eine so genannte "Sonnenuntergangsindustrie". Im Sondermaschinenbau für Packmittel sehen wir dagegen zweistellige Wachstumsraten. Darum konzentrieren wir uns künftig voll auf Packmittel aus Pappe und Papier - insbesondere auf Luxusverpackungen.

Kann Kolbus hierbei auf bestehendem Knowhow aufbauen?

Büntemeyer: Ja, der klassische Buchdeckenautomat von Kolbus beinhaltet die Technik, die das Herz unseres neuen Packmittelprogramms sein wird. Unsere Packmitteltechnologie baut also auf etablierter Technik auf. Und letztlich ist die Buchdecke ja auch die Verpackung des Buches. Der Vermarktungsansatz der Markenhersteller, die unsere Packmitteltechnik nutzen, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Ansatz, ein Buch als Hardcover zu vermarkten. Es geht in beiden Fällen um ansprechende, hochwertige Anmutung und die Markenbildung.

Auch wenn Manches bleibt: Beginnt für Kolbus 2018 eine neue Zeitrechnung?

Büntemeyer: Ja. Auf jeden Fall. Zwar bleibt die Tradition der Buchdeckenautomaten, aber wir steuern ab sofort in neuem Fahrwasser. Es wird sich für unsere Mitarbeiter vieles anders anfühlen. Der Komponentenbau wird künftig eigenständig agieren. Wir investieren hier in die Modernisierung der Maschinenbasis, erwarten im Gegenzug aber auch, dass dieser Bereich neue lukrative Märkte sucht und diese selbstbewusst angeht. Und im Packmittelbereich wird es sich in den nächsten drei bis vier Jahren anfühlen wie in einem Start-up. Wir müssen hier schnell ein Produktprogramm aufbauen, kreativ sein und dynamisch wachsen.

Gelingt es, Ihre Mitarbeiter auf diesen Wandel einzuschwören?

Büntemeyer: Das ist sicherlich eine der größten Herausforderungen. Zunächst stoßen wir auf große Skepsis, die ich nachvollziehen kann. Wir geben uns Mühe, die neue Strategie zu erklären. Denn wir müssen den Wandel gemeinsam gestalten und mutig angehen.

Wie erklären Sie den Abschied aus der Druck- und Papiertechnik?

Büntemeyer: Es ist nicht so, dass wir für die Druck- und Papiertechnik schwarzsehen. Aber die Wachstumsprognosen sind nun einmal bescheiden. Das Marktvolumen bleibt enorm und wird auch künftig gute Geschäfte ermöglichen. Doch sehe ich für uns Maschinenbauer das Problem, dass die Druckbranche weiter rationalisieren und ihre Produktivität massiv steigern muss. Für Ausrüster ist die Gemengelage schwierig. Zwar wachsen uns im Packmittelmarkt auch keine Trauben in den Mund, doch der Kostendruck ist nicht ganz so atemberaubend.

Ist die Kostenfrage der größte Unterschied zwischen den Märkten?

Büntemeyer: Die Erwartung, dass unsere Maschinen Kosten senken, rückte zuletzt immer stärker in den Vordergrund. Das erwarten Kunden im Packmittelbereich auch. Doch in etwa der Hälfte der Projekte geht es darum, neue Lösungen und Möglichkeiten zu entwickeln. Das Buch ist ein perfektioniertes Produkt. Bei Verpackungen ist die Entwicklung nie zu Ende: es braucht immer neue Ideen, um Aufmerksamkeit für Produkte zu generieren.

Gibt es bei Packmitteln Anknüpfungspunkte zu digitaler und analoger Drucktechnik?

Büntemeyer: Wir verarbeiten in der Regel hochwertig bedruckte und veredelte Substrate. Da ist unsere Erfahrung beim Kaschieren von Pappe mit hochwertig bedruckten Substraten sehr gefragt. Unser typischer Kunde wird auch im Packmittelsektor Drucker sein. Noch sind die Prozessketten gegenüber dem Buchdruck weniger eng verknüpft. Doch das ändert sich. Beschaffungszyklen werden kürzer, womit sich ein Bedarf an neuen, vernetzten Workflow-Lösungen ergibt. Für kurzfristige eventbezogene Kampagnen können Print 4.0-Ansätze ebenso interessant werden, wie zur Optimierung von Logistikketten.

Abschlussfrage: Was sehen Sie, wenn Sie sich Kolbus im Jahr 2030 vorstellen?

Büntemeyer: Ich denke, der Sondermaschinenbauer der Zukunft wird seinen Kunden sehr viel mehr Anwendungsberatung und Anwendungsunterstützung bieten. Das beginnt jetzt mit der Unterstützung beim Verpackungsdesign und wird künftig bis tief in Produktionsprozesse hineinwirken. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft von Kolbus in solchen beratungsintensiven Geschäftsmodellen liegt. Ob Kunden noch Maschinen besitzen oder Produktionskapazitäten bei uns ordern, muss sich erweisen. Wie es auch kommt, wir werden vorbereitet sein.

Bildquelle: Kolbus